Heutzutage ist alle so schnelllebig, nichts hat mehr Bestand und irgendwie schaut jeder nur noch auf seinen eigenen Arsch. Ja, dieser Satz könnte von einem Rentner stammen oder eben auch von Menschen jeden Alters im Jahre 2023.
Immer wieder führe ich Gespräche zu dem Thema. Menschen beklagen sich über die fehlende Loyalität und die Unverbindlichkeit derer sie heute täglich begegnen. Ob im beruflichen oder privaten Umfeld – überall das gleiche im Grossen und Ganzen. Ich empfinde ganz viele Alltagssituationen genauso und ich bin traurig darüber. Ich bin traurig, dass wir uns zu solch einer Art Menschen entwickelt haben. Natürlich gibt es Ausnahmen, zum Glück, aber um die soll es heute nicht gehen.
Denn die Menschen haben Recht, wenn sie sagen es ist immer schwieriger ehrliche Freundschaften zu pflegen, diese neu aufzubauen scheint manchmal sogar unmöglich. Auch hier kann ich nur stumm nicken, denn auch ich habe diese Erfahrung gemacht. Wie ganz viele von uns, wir wünschen uns reellen Austausch mit wohlwollenden Menschen. Okey, ich glaube viele können sich damit identifizieren, da werden wir uns einig sein. Hoffe ich zumindest.
Im gleichen Ausmass wie ich solche Gespräche über enttäuschende Begegnungen und bittere Erfahrungen führe, so oft erlebe ich wie dieselben Personen sich genau so verhalten, wie sie es lauthals anprangern. Natürlich, denn wenn jeder der sich über diese Unverbindlichkeit aufregt, selbst nicht diese Fehler begehen würde, dann wäre das Problem doch ganz einfach gelöst. Oder nicht? Denke ich hier zu einfach?
Ich mag es nicht, wenn man mich kurzfristig versetzt oder mich als Option einplant. Also werde ich den Teufel tun um selbst genauso zu handeln, oder nicht? Wenn ich mich verabrede, dann erscheine ich an diesem Termin ausser ich liege mit 40 Grad Fieber im Bett. Ich verabrede mich mit dem Menschen und nicht mit einer Option (alias Freund) am Ort meiner Wahl. Was ich nicht mag, tue ich auch keinem anderen an, richtig? Mir ist schon schwindlig im Kopf, aber egal wie oft ich es drehe und wende – ich bin der Meinung es ist ganz einfach.
Und dennoch scheinen die Menschen bei anderen immer kritischer zu sein als bei sich selbst. Ja, wir sind Menschen, wir sind soziale Wesen und wir machen Fehler und stolpern so durch die Welt. Einens scheinen wir jedoch nicht zu tun – zu lernen. Sich weiterentwickeln und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Und nein, ich denke hier nicht an unsere technischen Quantensprünge, sondern eher an die menschliche Seite in uns Menschen. An die Werte, an die Art des Zusammenlebens, an die Art wie wir miteinander umgehen. Seit einigen Jahren spreche ich diesen Gedanken immer und immer wieder laut aus und ernte dafür nur hilfloses Achselzucken oder gequältes Grinsen. Wir verlieren unsere Fähigkeiten eines sozialen Zusammenlebens. Gerade hier in der Schweiz baut vieles auf dem sozialen Miteinander auf. Wenn wir aufhören uns sozial zu verhalten, werden ganz viele Systeme und Muster nicht mehr funktionieren. Das Verhalten untereinander verändert sich, wird distanzierter und schon bald fühlt man keine soziale Verbundenheit mehr und der Mensch ist einem egal – ergo verhalte ich mich weniger sozial ihm gegenüber.
Ich wohne in einer klassischen Stadtwohnung aus den 70er mitten im Kreis 3 und konnte diese Entwicklung hautnah vor meiner eigenen Haustür mitverfolgen. Anfangs wohnten in diesem Block viele ältere Leute, einige wohnten über 40 Jahre in ihren Wohnungen. Man grüsste sich, half sich und brachte sich selbstgebackene Kekse. Mit der Zeit zog einer nach dem anderen aus, entweder in Altersheime oder eben in die Kiste. Und jedes Mal ging ein Stückchen Seele des Hauses mit.
Die neuen Leute kamen nie vorbei für eine Vorstellungsrunde oder stellten sich bei einer Begegnung im Treppenhaus vor. So verlor ich bald den Überblick, wer eigentlich in diesem Haus wohnt und wer Zwischenmieter vom Zwischenvermieter war oder nur gerade auf Besuch bei jemandem. Zu spüren bekam man die neuen Mieter jedoch in der verdreckten Waschküche, der eigenen Wäsche, die man an seinem Waschtag plötzlich nass ausserhalb der Maschine fand oder aufgerissene Postpakete, deren halber oder ganzer Inhalt fehlte. Ich gebe zu, die Waschküche ist in jedem Mietshaus eine wandelnde Zeitbombe, die in zufälligen Abständen immer mal wieder explodiert. Was ich jedoch nie nie nie verstehen werde; wir alle wollen unsere Wäsche sauber und frisch duftend, aber keiner ist bereit die verdammte Waschmaschine oder den Tumbler zu reinigen. Whaaaat? Glaubt mir, bei uns streikt der Tumbler regelmässig, weil die Leute das Fusselsieb nicht reinigen. Kleben dann Zettel auf die Maschinen, dass sie defekt seien. Ah, die Verwaltung wird aber nicht informiert. Obwohl da ZWEI Beschreibungen davon in Wort UND Bild auf der Maschine kleben, scheinen es die Leute einfach nicht zu begreifen. Und da muss ich mir ganz ehrlich die Frage stellen, ja vielleicht wirkt sie überheblich, jedoch ist sie einfach nur ehrlich gedacht und jetzt getippt:
Ist es vielleicht gar nicht so, dass das soziale Miteinander verloren gegangen ist, sondern dass den Leuten die Intelligenz und der Verstand abhandengekommen ist?
Ich kenne mich mit den aktuellen Pisa Studien nicht aus, jedoch glaube ich mich daran zu erinnern, in den letzten Jahren immer mal wieder Berichte gelesen oder gesehen zu haben, in denen es um die sinkende Intelligenz in der Gesellschaft ging. Mit den unterschiedlichsten Begründungen und Herleitungen, jedoch immer mit der gleichen Aussage. Wir werden dümmer!
Und jetzt kommt mir gerade ein wahnwitziger Gedanke! 😊 Was wäre, wenn wir unsere schwindende Intelligenz mit wachsendem sozialem Verhalten ausgleichen? Ob wir so schnell noch das Ruder rumreissen können und unsere Nachfahren zu Einsteins erziehe können oder ob das ganze eher wie die Klimakrise endet, überlasse ich mal eurer Fantasie. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass wir unser Verhalten schneller ändern können und wir über diesen Umweg wieder an Intelligenz, an menschlicher Intelligenz dazugewinnen können. Ein, wie ich finde, genialer Gedanke. Unser Verhalten können wir jeden Tag ändern, sogar jede Minute, denn es liegt ganz allein in unserer Hand. In einer Zeit in der wir (glauben) so oft von aussen bestimmt (zu) werden.
Jeder von uns hat es selbst in der Hand. Wenn ich mir einen ehrlichen Umgang mit meinem Umfeld wünsche, dann pflege ich eine loyale Ehrlichkeit gegenüber meinem Umfeld. Wenn mein Gegenüber dies nicht tut, distanziere ich mich von dieser Person. Wenn ich mir die Waschmaschine und den Tumbler sauber und funktionsfähig wünsche, dann reinige ich die Dinger jedes Mal und hinterlasse alles sauber. So einfach.
Oder doch nicht?
Mein kleiner Monk im Kopf schreit: «Und du willst jedes Mal die Putzfrau für die anderen sein? Obwohl du jedes Mal zuerst alles putzen musst, bevor du es benützen kannst?»
Ja, da hat der kleine Monk absolut recht, diese Reaktion wäre auch verständlich und absolut nachvollziehbar. Keiner möchte ausgenutzt werden oder den Dreck von anderen wegmachen. Ich kann euch aber beruhigen, es gibt nicht nur diese zwei Möglichkeiten. Ich bin ein grosser Fan von Verständnis schaffen, so dass ich es erst einmal mit Zetteln und netten Hinweisen versuchte. Ich will jetzt nicht behaupten, dass dies supergut funktioniert hat, das wäre eine glatte Lüge. Aber hey, vielleicht habt ihr ja mehr Glück mit euren Mitbewohnern und bei euch funktioniert es.
Vor kurzem hatte ich eine neue wahnwitzige Idee; ich könnte doch die Seite aus dem Handbuch zur Reinigung der Fusselsiebe kopieren und allen in den Briefkasten legen. Vielleicht wäre dies ja die Erfolgsgeschichte – ich halte Euch sicherlich irgendwann irgendwo in einen neuen Beitrag auf dem Laufenden wies an der Flusenfront aussieht. 😊
Lange Rede, kurzer Sinn. Was ich damit sagen will, lasst Euch nicht in diese Negativspirale ziehen. Werdet nicht zu Arschlöchern nur weil da draussen so viele rumlaufen. Lasst uns einander auf der Strasse wieder anlächeln, der Mutter mit dem Kinderwagen ins Tram helfen und verdammt nochmal den Tumbler nach Gebrauch reinigen. Vereinbart Treffen mit euren Freunden, weil ich mit ihnen Zeit verbringen wollt und nicht weil ihr nicht allein an die Party wollt. Geht Verbindungen ein und erlebt die damit einhergehenden Gefühlen, egal wie sie sich anfühlen. Sagt Verabredungen zu, weil ihr mehr von den Menschen erfahren wollt und nicht nur welchen Job sie haben. Lasst uns Menschen sein, die ihrem Gegenüber genau so viel Ehrlichkeit und Respekt gegenüber bringen, wie wir es uns wünschen. Lasst uns freundlich miteinander leben und mit gutem Vorbild voran gehen. Und wir werden mit unserem sozialen Lebensstil vielleicht die schrumpfende Intelligenz schlagen. Daumen drücken!
Lasst uns mutig sein und es herausfinden. Starten wir das Experiment soziales Miteinander besiegt sinkende Intelligenz!
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