Es ist ein gemütlicher Sonntag, nicht wirklich sonnig, jedoch warm genug, um endlich den Nachmittag auf dem Balkon zu verbringen. Während vor dem Haus die Fussball-Fans toben und den Lärm der kreischenden Kinder im Hinterhof übertönen, habe ich es mir auf ein paar Kissen auf dem Balkon bequem gemacht. Die Wasserflasche ist gefüllt und steht schön im Schatten und die frische Honigmelone gaukelt mir etwas gesunde Ernährung vor.
Gerade eben habe ich in meinen alten Textbüchern gestöbert. Immer eine A4 Seite lang schrieb ich damals meine Texte. Nie mehr und aber auch nie weniger. Da ich die Dinger leider nie mit Datum oder Jahreszahlen versehen habe, kann ich nicht alle Gedanken einer gewissen Zeitepoche zuordnen. Doch da gibt es diese eine Art von Texten, wir kennen sie alle, die Liebeskummer-Trauerklos-Verzweiflungsgeschichten. Gemeinsam hatten sie alle die Dramatik von tiefen Gefühlen, starken Anziehungskräften und mittleren bis grösseren Dramen. Nicht viele Männer schafften es bei mir in diese Kategorie, besser gesagt nur Einer. Dieser dafür stahl mir mehr als vier Jahre meines Lebens. Gottseidank bin ich inzwischen über diese Geschichte hinweg und ich schwelge nur noch sehr selten in dieser Erinnerung, zumindest in den positiven Teilen davon.
Nun möchte ich aber nicht über alte Liebesstory schreiben, sondern beim Lesen ist mir aufgefallen wie endlich, fast schon radikal meine Gefühle damals waren. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich diesen einen Mann eines Tages nicht heiraten werde und er nicht der Vater meiner Kinder sein wird. Wie abstrus sich dieser Gedanke so viele Jahre später anfühlt. Und dennoch war ich so sehr davon überzeugt, dass ich jegliche Vorsicht fahren liess und mir viele Dramen bescherte.
So sitze ich da und starre in die vorbeiziehenden Wolken und meine Gedanken drehen sich um die Endlichkeit meiner Gefühle, die gefühlte Wahrheit vs. die harte Realität.
Wie oft schon war ich von etwas so überzeugt und irrte mich so böse? Irrte ich mich öfters und lebte mit dieser «falschen» Wahrheit auch in anderen Bereichen? Oder wusste mein Unterbewusstsein damals schon, wie falsch das alles war und ich hatte einfach verlernt darauf zu hören? Konnte mir so etwas nochmal passieren? Hatte ich nun eine bessere Verbindung zu meinem Bauchgefühl?
Und plötzlich kam ein weiterer Gedanke dazu; passen falsch gelernte Muster und verdrehte Wahrheiten nicht auch zu frühkindlichen Traumata? Das viele unserer Prinzipien und gelernten Verhaltensmuster aus der Kindheit stammen, ist vielen inzwischen klar. Und wenn ich mich so bei diesem Mann getäuscht habe und dies über viele Jahre hinweg, könnte es dann nicht auch sein, dass ich noch ganz andere falsche Annahmen aus früheren Jahren mitgenommen habe?
Da ich mich vor kurzem mit dem Thema Traumata beschäftigt habe, glaube ich hier eventuell an einen Schlüsselpunkt gekommen zu sein. Als wir Kinder waren, konnten wir gewisse Handlungen oder Geschehnisse noch nicht wirklich einordnen. Wir wussten noch nicht so genau was ist richtig und was ist falsch, ausser das, was uns von unseren Vorbildern vorgelebt wurde. Nun sind wir erwachsen und wir haben die Macht über unser Leben. Und doch kenne ich sehr viele Menschen, die immer wieder feststellen, wie viele Stolpersteine sie sich selbst vor die Füsse werfen. Unabsichtlich und unbewusst, jedoch mit eigener Kraft und aus eigenem Antrieb.
Sie haben es nicht anders gelernt. Oft erkennen wir dies als unsere Wahrheit an und sind nicht bereit diese vertrauten Muster loszulassen.
Wenn wir jedoch einmal erkennen, dass diese gefühlte Wahrheit mit all den Verletzungen eventuell nicht die ganze Realität ist, ist der erste Schritt schon getan. Trennt gefühlte Wahrheit von der «echten» Realität. Wenn ich es schaffe, meine falschen Überzeugungen hinter mir zu lassen und das wahrzunehmen was ist und was real ist, dann bin ich auf dem Weg zu mir selbst. Auf dem Weg zu verzeihen und alte Muster hinter mir zu lassen. Dafür musst du nur eines tun – dich wahrnehmen. Sei offen für andere Perspektiven, offen für Veränderungen und grosszügig dir selbst gegenüber. Wenn dich etwas immer wieder belastet, grab tiefer und finde heraus, worauf deine Wahrheit gründet. Finde heraus wieviel Wahrheit und wieviel Realität hinter deinen Gefühlen stecken. Du wirst überrascht sein.
Seit mutig und ehrlich zu Dir selbst - und finde DEINE Wahrheit.
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