Beim Stöbern in alten Texten bin ich auf einen bestimmten gestossen, den hatte ich an einem Wendepunkt meines Lebens geschrieben. In einem Moment, ab dem alles anders werden sollte. Ich hatte mich aus einem für mich sehr toxischen Arbeitsumfeld gelöst, hatte ins Blaue gekündigt und wollte mein Leben von Grund auf umkrempeln. Ich wollte wieder gerne arbeiten, wollte meinen Elan, meinen Ideenreichtum und meine fröhliche Seele zurückhaben. Und vor allem mein Potenzial voll ausnutzen. Mit grossem Engagement stürzte ich mich in diese spannende Zeit, stellte dann aber wie im Text «Rein ins neue Ich?» schön beschrieben, fest, dass es doch nicht ganz so einfach war. Zu tief sassen alte Gewohnheiten, Gewohnheiten, die es manchmal nicht einfacher machten. Und was heisst das überhaupt, sein ganzes Leben umzukrempeln?
Einige Monate später sitze ich nun hier, und als ich meine Gedanken von damals las, musste ich schmunzeln. Wie oft hatte ich diesen Moment von «Nicht schon wieder!» in den letzten Monaten? Immer und immer wieder wog ich mich mit meinen neunen Angewohnheiten in Sicherheit, um dann wenig später festzustellen, dass ich schon wieder in meine alten Muster verfallen war. Aber soll ich euch etwas sagen, diese Momente wurden mit der Zeit weniger. Es ist ein Prozess. Es fiel und fällt mir immer einfacher meine neuen Gewohnheiten zu etablieren. Ihr könnt euch vorstellen: Eine Achterbahn der Gefühle. Wie das Wort schon so schön sagt, es liegt alles einem Muster zu Grunde und das war eine meiner Missionen, diesen Schemen nachzugehen. Ich wollte herausfinden was da passiert ist, in meinem Leben auf dem Weg glücklich zu werden. Was brauchte ich zum Glücklichsein überhaupt? Brauchte ich nur neue Gewohnheiten zu etablieren und alles würde anders werden? Gab es nur die Möglichkeit, mich endlich der Gesellschaft zu beugen und mich den gängigen Mustern anzupassen? Ich hatte nun viele meiner alten Muster verabschiedet, falls ihr es gelesen habt, ich habe mein Schattenkind ja vor längerer Zeit in Pension geschickt. Dennoch war ich mir nicht sicher, ob da nicht doch mehr dahintersteckte. Denn trotz vieler neuen Gewohnheiten, war ich im Kern immer mich selbst geblieben. Sollten die neuen Gewohnheiten ausreichen, um nun ins System zu passen? Würde es nächstes Mal anders werden, weil ich mich weiterentwickelt habe? Lag alles nur an meinen alten Mustern?
War es mein Muster oder eher einfach ein sich wiederholendes Muster, mit mir in der Hauptrolle?
Würde es ausreichen, es einfach immer und immer wieder zu versuchen und zu hoffen, dass ich da irgendwann reinpasse? Wir alle tragen unser Päckchen, unsere Kindheitstraumata und unsere Trigger immer und überall mit uns. Sie beeinflussen unser Leben unseren Alltag, ganz oft völlig unbewusst. Einige schaffen es einfach so vor sich hinzuleben, sich nie zu hinterfragen und einfach alles so anzunehmen wie es kommt. Man glaubt, dass sie sich nie diese Frage stellen; Was brauche ich um glücklich zu sein, sie sind es einfach, oder eben auch nicht und das Ganze endet in Suchtproblematiken oder psychischen Problemen. Auch wenn es äusserlich vielleicht den Anschein macht, als wäre es einfacher so zu leben, mit der Masse zu schwimmen und nicht herauszustechen, bin ich überzeugt, wir kämpfen alle mit den gleichen Themen. Jeder auf seine Art und Weise. Sie werden jedoch vielleicht nie die Chance haben, daran zu wachsen, denn es ist bequemer da, wo sie sind. So fremd mir dies ist, so faszinierend finde ich es.
Ich habe schon immer alles erfragt, war immer schon neugierig und wollte alles wissen und erfahren und lernte rein durchs Beobachten. Meine Interessen waren überall und ich war wie ein Schwamm und verschlang Buch um Buch. Ich erinnere mich, dass ich schon als Kind oft einfach nur den Wunsch hatte, glücklich zu sein. Ich wollte herausfinden, was man dazu braucht, wollte die Welt kennenlernen und liebte es Neues zu lernen. Das bin ich, das hat sich bis heute nicht geändert. Eine bestimmte Sache hatte sich jedoch geändert.
Als Kind wurde man dafür gelobt – als Erwachsene wird man dafür gemobbt, ausgegrenzt und geschnitten.
Ich kannte diese Gefühle aus meinem Arbeitsleben sehr gut. Aussagen wie; «Du musst nicht immer 120% geben, 80% reichen auch. Du bist viel zu schnell, nimm den Leuten nicht ihre Daseinsberechtigung. Du passt menschlich gesehen einfach nicht hierher.», hatte ich öfters zu hören bekommen. Ich jedoch wollte einfach meine Arbeit gut machen. Ich wollte alle meine Fähigkeiten nutzen, um das Beste für die Firma und die Abteilung herauszuholen. Eine böse Absicht steckte nie dahinter.
Eine bestimmte Situation mit einem Arbeitgeber blieb mir besonders im Gedächtnis, denn viel Vertrauen war zerstört worden und das Ganze ging nicht spurlos an mir vorbei.
Eine Sache erstaunt mich jedoch heute noch, dass ich damals keine Wut oder Hass empfunden hatte, obwohl es grenzwertige Vorfälle und Vertrauensbrüche gab. Ich hatte keine Emotionen, nur eines war ich mir sicher, mit diesen Menschen wollte ich nichts mehr zu tun haben. Ich konnte schnell damit abschliessen, nun stellte ich mir aber die Frage; wäre es damals anders gekommen mit den neuen Angewohnheiten? Nun wollte ich es genau wissen und liess mir nochmal Situationen und Gespräche durch den Kopf gehen. Analysierte mein Verhalten, das meiner Gegenspieler und um Gottes Willen, natürlich habe auch ich Fehler gemacht. Ich bin ein Mensch und Menschen machen nun mal Fehler, manchmal auch unbewusst. Dennoch spürte ich, dass es etwas anderes sein musste. Und während den letzten Monaten und Wochen setzten sich die Puzzlesteine immer mehr und mehr zusammen und dann wurde es mir klar.
Aus wirtschaftlicher Sicht ist das Gleichgewicht eines Systems in vielerlei Hinsicht das oberste Gebot. Wenn jemand das Gleichgewicht durcheinanderbringt – stellt er eine Gefahr dar!
Aber natürlich. Alles funktioniert in einem gewissen Gleichgewicht, in einem geschlossenen System ist es das A und O. Ich mache kurz ein Beispiel, welches meine Erkenntnisse versinnbildlichen soll. Stellen wir uns vor; ein Produktionsbetrieb für Sofas. Alle Mitarbeiter schaffen pro Tag ca. zwei Sofas fertigzustellen, mal ist es nur eines und mal sind es drei. Je nach Vorarbeit und Qualität der einzelnen Arbeitsschritte. Nun wird ein neuer Mitarbeiter eingestellt, der sich nach kurzer Einarbeitungszeit so gut anstellt, dass er vier oder fünf Sofas pro Tag fertigt. Dies bleibt nicht unentdeckt und schon bald spalten sich die Kollegen in zwei Gruppen. Die grössere Hälfte, die über ihn herziehen und in als Streber bezeichnen, platzt vor Neid. Die andere Hälfte findet seine Schnelligkeit beeindrucken und tauschen sich über Tipps und Tricks an den Maschinen aus. Diese Gruppe bildet ein sehr kleines Grüppchen, denn die Mehrheit sieht ihren Job bedroht, ihre tägliche Routine in Gefahr. Der Unmut im Team ist spürbar und schon bald wird die Chefetage auf die Geschehnisse aufmerksam. Und schon steht die Schlüsselfrage im Raum, wieso schafft es nur einer so viel mehr Sofas zu produzieren und ist er so gut und demnach die anderen so schlecht? Die Kollegen protestieren und sähen Missgunst und Lügen. Das eine führt zum anderen und das Betriebsklima ist im Keller.
Und es ist passiert! Das Gleichgewicht ist aus dem Gleichgewicht geraten!
Schnell wird klar, der Störenfried muss weg. Wenn er wie alle anderen brav seine durchschnittlich zwei Sofas pro Tag gefertigt hätte, wäre das alles nie passiert. Die Kugel wäre nicht ins Rollen geraten, die Unruhen im Team, die in Frage gestellte Daseinsberechtigung und die unangenehmen Fragen aus der Chefetage. Auch die Personalabteilung sah sich bedroht, könnte man ihr doch Versagen vorwerfen, da sie an der Auswahl der Mitarbeiter beteiligt war. Es musste gehandelt werden und die wirtschaftlich einfachste Lösung war, wieder das Gleichgewicht herzustellen und das Übergewicht loszuwerden.
Wow, nun hatte ich es verstanden, ich hatte es wirklich verstanden. Dies war vielleicht der Grund, wieso ich nie Zorn verspürt habe gegenüber den Beteiligten. Unterbewusst spürte ich eventuell schon damals, dass alle ihre Gründe für ihr Handeln hatten. Die einen weniger ehrenhafte als die anderen, vielleicht aber dafür wirtschaftlichere. Aber ich konnte die Geschehnisse logisch nachvollziehen. Das Ganze machte Sinn und mir wurde klar, welche Bedingungen und Voraussetzungen zukünftig erfüllt sein müssten in einem Job. Es bringt mir nichts, mich wieder in so ein Setting zu begeben. In einer Umgebung, die von dieser Art Gleichgewicht regiert wird. Meine Eigenschaften, die genau dieses Gleichgewicht in der Vergangenheit immer wieder gestört hatte, will und kann ich nicht ändern.
Vielleicht waren die Systeme bis her, alle etwas zu engmaschig und zu klassisch strukturiert für mich.
Ich will diese neugierige, wissbegierige und hinterfragende Persönlichkeit bleiben. Ich mag mich so und mein Leben ist dadurch bunt und interessant!
Und da fand ich die Antwort auf meine Frage, ob es mit neuen Angewohnheiten einfach getan wäre, und ich funktioniere im genannten System. Nein, es würde nicht reichen und manchmal geht es gar nicht darum durch ständige Selbstoptimierung ein neues Ich zu kreieren. Wir sind vollkommen auf die Welt gekommen und die Eigenschaften, die wir geschenkt bekommen haben, sollten wir ausleben und geniessen. Auch wenn sie vielleicht in der Gesellschaft anecken oder als störend empfunden werden. Ich liebe genau diese Eigenschaften an mir am meisten, auch wenn sie mir schon viel Ärger eingebrockt haben. Ich lerne so viele spannende Menschen kennen, lerne jeden Tag etwas Neues dazu, wachse und entwickle mich und bin glücklich. Diese Erkenntnis war befreiend, das will ich nicht leugnen. Natürlich zweifelt man in solchen Momenten an sich und dann feststellen zu können, dass alles richtig ist, so wie es gekommen ist, ist ein gutes Gefühl.
Deshalb ist es so wichtig seine Zeit, sein Leben, im richtigen Umfeld mit den richtigen Leuten zu verbringen. Ob in der Freizeit oder bei der Arbeit. Es ist gut sich selbst zu reflektieren, an sich zu arbeiten und sich zu hinterfragen. Aber bevor ihr euch ganz kirre macht, prüft, ob ihr im richtigen Umfeld oder System seid. Und falls ihr dann feststellt, dass ihr es nicht seid, dann seid verdammt nochmal mutig und brecht aus diesem System aus. Ihr kennt doch den Spruch:
Wenn eine Blume nicht blüht, hilft es nicht die Blume verändern zu wollen. Finde einen Platz, an dem sie alles hat, um wachsen zu können. Dann wird sie wieder blühen.
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